Schafweide mit Bahnanschluss
Antonslust: BürgerInnen wehren sich gegen den Ausverkauf ihrer Heimat
(iz) Zwischen Wilhelmshaven und Langewerth gibt es noch große zusammenhängende Grünlandgebiete, in denen sich der historische Übergang zwischen Stadt und Land bewahrt hat. Nicht mehr lange, wenn es nach dem Willen der rot-schwarzen Mehrheit im Rat der Stadt geht und Dollarzeichen in den Augen den Blick aufs Ganze trüben.
Zwischen der Traditionsgaststätte “Antonslust”, der benachbarten Logesschule und der Burg Kniphausen soll ein neues Industriegebiet entstehen. Direkt neben der Autobahn soll ein Umspannwerk gebaut werden, das den Strom vom neuen Kohlekraftwerk abführen soll, welches die GDF Suez derzeit im Rüstersieler Groden baut. Die übrigen Flächen sollen für Industrie und Gewerbe vermarktet werden. In der Februar-Ratssitzung stimmten CDU und SPD für die Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans.
Die Anlieger sind nicht begeistert, dass ihr kleines Paradies am Stadtrand zerstört werden soll. Offenbar stehen sie mit ihrer Ansicht nicht allein: Etwa 70 Personen kamen zu einer Informationsveranstaltung am 7. März – einem Montagabend – , zu der die Familie Loges mit Unterstützung der Gastwirtsfamilie Theiß in die Antonslust eingeladen hatte. Sie zeigten sich überwältigt von der Resonanz, zumal die Einladung nicht mal über die Tagespresse erfolgte, sondern allein über das Bürgerportal, Emails und Mundpropaganda. Für einen fairen Ablauf sorgte Moderator Wolle Willig, der allerdings ordentlich damit zu tun hatte, die anwesenden Vertreter der Politik im Zaum zu halten, damit das Ganze nicht zu einer Wahlkampfveranstaltung verkam.
FDP-Ratsherr Dr. Michael von Teichman (der auch an der Logesschule unterrichtet) gab eingangs einen Einblick in den Ablauf des Bauleitplanverfahrens. Auf Grundlage des Ratsbeschlusses wird die Verwaltung jetzt den Entwurf eines Bebauungsplanes erstellen, der nach Absegnung durch den Rat öffentlich zur Einsicht- und Stellungnahme ausliegen wird. Nach Auswertung und Abwägung aller Eingaben erfolgt schließlich der Beschluss durch den Rat, als Satzung erhält der B-Plan Rechtskraft.
Wie schon in der Ratssitzung betonte von Teichman, grundsätzlich sei die FDP natürlich für Gewerbeansiedlungen, in diesem Fall hatte sie jedoch dagegen gestimmt. Die Gründe dafür unterstrich er mit der Präsentation von Auszügen aus dem Baugesetzbuch, wonach der Schutz von Natur und Landschaft berücksichtigt werden muss. Er brachte die Inhalte klar und sachlich rüber, allerdings behielt er nach seinem einführenden Referat für die nächsten zwei Stunden bis zum Ende der Veranstaltung seinen Platz vor der Leinwand bei, was den Eindruck erweckte, als sei er Willigs Co-Moderator und als hätte er hier eine herausgehobene Stellung gegenüber anderen anwesenden Ratsvertretern, was etwas unglücklich war.
Bei der Abwägung von Belangen der Wirtschaft gegenüber Natur und Landschaft, Erholungsfunktion und Lebensqualität ist vor allem wichtig, ob das Vorhaben unvermeidlich ist und ob es Alternativen gibt. Darum drehten sich auch die Fragen und Antworten der Diskussion.
Alternative 1: Umspannwerk Maade
Ursprünglich hatte GDF Suez die Ableitung des Stroms aus dem neuen Kraftwerk über das bestehende Umspannwerk an der Maade beantragt. Hierfür liegt eine Genehmigung des Gewerbeaufsichtsamtes vor. Demnach reichen die Kapazitäten des vorhandenen Umspannwerkes aus. Eine Anfrage von BASU-Ratsherr Joachim Tjaden hatte ergeben, dass dem Amt derzeit kein Antrag für ein neues Umspannwerk vorliegt.
Alternative 2: Rüstersieler Groden
Falls GDF Suez bzw. der zuständige Netzbetreiber TenneT nun doch zu der Erkenntnis gelangt ist, dass ein neues Umspannwerk gebraucht wird, könnte dies auch direkt neben dem neuen Kraftwerk auf dem Rüstersieler Groden entstehen. Nur: Diese benachbarten Flächen sind in Besitz der INEOS, die auf einem Teil des Geländes das Chlorgas für ihr PVC-Werk im Voslapper Groden produziert. Gerüchten zufolge sind die Stromkonzerne jedoch nicht bereit, den Preis zu zahlen, den INEOS für den Verkauf der benötigten Flächen verlangt.
Die Fläche an der Antonslust hingegen gehört der Stadt und der Kaufpreis von 1,5 Mio Euro soll deutlich günstiger sein. Die Stadt hat die Flächen schon vor geraumer Zeit für etwa 50.000 Euro von Landwirten abgekauft. Insofern wäre der Weiterverkauf an TenneT für beide Seiten ein guter Deal.
CDU-Ratsherr Bernhard Rech argumentierte, von einer grünen Wiese könne man nicht leben. In der Vergangenheit sei die Zahl der Landwirte in Wilhelmshaven gewaltig geschrumpft und all die ungenutzten Brachflächen müsse man jetzt anderweitig verwerten. Da hatte er seine Milchmädchenrechnung aber ohne die anwesenden Fachleute gemacht. Karl Eilers, Vorsitzender des Bürgervereins Langewerth-Rundum, klärte Rech auf, dass trotz Höfesterbens die landwirtschaftliche Fläche im Stadtgebiet gleichgeblieben, ja sogar ein wenig gewachsen sei, weil die verbliebenen Höfe im Sinne der Rentabilität die frei gewordenen Flächen übernommen haben.
Damit war Rechs peinlicher Auftritt aber noch nicht zu Ende. Mit Blick auf Sigrid Loges dozierte er sinngemäß wie folgt: Also in unser schönen Stadt haben wir schöne neue Kraftwerke. Die produzieren Strom. (Ach so). Und damit der Strom auf ganz Deutschland verteilt werden kann, brauchen wir ein neues Umspannwerk. Bevor jemand fragen konnte “Halten Sie Frau Loges eigentlich für geistig umnachtet?”, dröhnte es aus der Eilers-Ecke: “Sind wir hier in der Sendung mit der Maus oder was?”
Eine deutlich bessere Figur machte SPD-Oberbürgermeister-Kandidat Thomas Städtler. War ja schon clever von ihm – derzeit noch in Löningen in Amt und Würden -, auf die Veranstaltung zu kommen, da hatte er den richtigen Riecher – dass da nicht 10 verlorene Seelen, sondern ein paar Dutzend aufgebrachte BürgerInnen sitzen, war vorher nicht absehbar.
Sigrid Loges stellte nämlich die Frage, warum nicht seitens der Stadt vor Beginn eines formalen Bauleitplanverfahrens solche moderierten Diskussionen veranstaltet werden, ehe “Pflöcke eingeschlagen werden“. Von Teichman versuchte zu beschwichtigen: Es sei ja noch alles offen, genau deshalb sei die Verwaltung jetzt beauftragt, alle relevanten Informationen einzusammeln und im Entwurf für den Bebauungsplan zusammenzutragen. Dann sei noch genug Zeit für die Bürger, sich dazu zu äußern, und im Ergebnis könne der Rat den Plan ja auch ablehnen. Loges hakte nach: Wenn aber eine solche Versammlung zum Ergebnis habe, dass die Bürger kein Industriegebiet wollen, müsse man die Verwaltung gar nicht erst losschicken für die aufwändige Arbeit. Den Ball fing Städtler gekonnt auf: Er gab Frau Loges Recht, genau deshalb würde man in Löningen solche moderierten Verfahren vor Planungsbeginn durchführen und in dieser Hinsicht müsse sich in Wilhelmshaven noch einiges ändern.
Nicht, dass wir hier für Städtler Werbung machen wollen – nur so rein PR-technisch hat er sich klug verhalten und kam damit auch authentisch rüber. Sollte ihm bei der Wahl am 11.9. tatsächlich der Durchbruch gelingen, wird er sich allerdings an solchen Aussagen messen lassen müssen – wir werden darauf zurückkommen.
Wie eingangs erwähnt, versuchten auch andere politische Vertreter und OB-Kandidaten den Abend wahlkampftechnisch für sich auszuschlachten. Die Freien Wähler konnten damit ebenso wenig punkten wie der grüne OB-Kandidat van den Berg, der – ungewollt – von seinem eloquenten Kreisvorsitzenden Peter Sokolowski an die Wand geredet wurde. Joachim Tjaden (BASU) glänzte, wie sie oft, mit handfesten Ergebnissen intensiver Recherchen.
Aber zurück zum eigentlichen Sinn der Veranstaltung. Zwei Ergebnisse gilt es hier festzuhalten:
Zum einen die erfrischend unverbrauchte Herangehensweise von Sigrid Loges, die sich als Einsteigerin in die Auseinandersetzung zwischen betroffenen BürgerInnen, Politik und Verwaltung von “das geht schon seinen geordneten formalen Gang” nicht einlullen ließ, sondern an ihren eigenen basisdemokratischen Vorstellungen festhielt.
Ohne Not Natur zerstören?
Zum anderen der Kern der Kritik: Wozu schon wieder ein neues Gewerbe-/Industriegebiet, wenn etliche andere noch lange nicht flächendeckend nachgefragt sind? “Die Interessenten stehen hier nicht gerade Schlange”, stellte von Teichman fest, weshalb seine ansonsten wirtschaftsfreundliche Fraktion auch gegen den Aufstellungsbeschluss für den B-Plan gestimmt hat. Pragmatiker Karl Eilers drückte es kerniger aus: Jedes neue aufwändig erschlossene, aber nicht nachgefragte Gewerbegebiet sei irgendwann eine “Schafweide mit Bahnanschluss”.
Großes Interesse bestand an einem Gewerbeflächenkataster, das einmal deutlich darstellt, welches Angebot interessierte Investoren hier bereits vorfinden, ohne dass dauernd noch neue Flächen zur Auswahl hinzukommen. Dieses Kataster soll gerade in Arbeit sein.
Für Loges und ihre MitstreiterInnen war dieser Abend erst der Anfang. Zur nächsten Versammlung sollen Baudezernent Klaus Kottek und GDF-Projektleiter Frank Albers eingeladen werden, um Rede und Antwort zu stehen.
Potenziale
Wilhelmshaven birgt ein erstaunliches Potenzial basisdemokratischer Auseinandersetzung. Ausgangspunkte sind die regelmäßigen Griffe ins Klo seitens Politik und Verwaltung, Ergebnis sind eindrucksvolle Aktivitäten Betroffener, die oft zuvor politisch nicht in Erscheinung getreten sind: Angefangen von der Bürgerinitiative Umweltschutz (gegen Öffnung des Grodendammes, später gegen ICI und andere Großprojekte) über Antiport, Zeche Rüstersieler Groden, Kaiserliche KanalarbeiterInnen, Anti-Atomspaziergang und jetzt zur Rettung der Landschaft zwischen Antonslust und Burg Kniphausen (Arbeitstitel: “Zwischen Hölle und Fegefeuer” = historische Flurstücknamen) – die WilhelmshavenerInnen lassen sich durchaus nicht alles gefallen. Unterstützt werden die hoch motivierten, da persönlich Betroffenen stets durch eine überschaubare und bekannte Gruppe erfahrener AktivistInnen vom BUND und anderen Umweltverbänden.
Interessant ist die Lebensdauer dieser Initiativen: Die BUW (Bürgerinitiative Umweltschutz Wilhelmshaven) besteht seit den 1970er Jahren bis heute, wobei sie – von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, aber immer noch wirksam – unter dem Dach des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) im Hintergrund agiert. Die Antiport (Bürgerinitiative gegen den JadeWeserPort) hat sich aufgelöst – nicht durch Verschleiß, sondern hochoffiziell und konsequent, nachdem die Lobby aus Hafenwirtschaft und Politik das Projekt durchgesetzt hat. Über Umwege ist daraus die BASU hervorgegangen, die mittlerweile einen festen, wachsenden Sitz im Ratssaal einnimmt und ein vielfältiges Themenspektrum bedient. Die KanalarbeiterInnen werden vermutlich so lange weiter bohren, bis der letzte unappetitliche Goldbarren vorm Banter Siel verschwunden ist. Ohne sie, die anfangs vom Oberbürgermeister als Nestbeschmutzer beschimpft wurden, die das saubere touristische Image der Stadt gefährden, wären die städtischen Aktivitäten zur Modernisierung des Abwassersystems nicht in Gang gekommen.
Nun bleibt spannend, ob das neue Bündnis um Sigrid Loges auch die lange überfällige Grundsatzdiskussion um die maßlose, angebots- statt nachfrageorientierte Ausweisung von Gewerbeflächen in Gang bringt.
Imke Zwoch
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